Montag, 6. Februar 2023

Lesestammtisch in Sinzing: der Anfang

Schon länger als 25 Jahre - nur unterbrochen durch die Corona-Zwangspause - leite ich in Bad Kötzting einen historischen Lesestammtisch im Rahmen des dortigen Arbeitskreises Heimatforschung. Einmal im Monat trifft sich dort eine lockere Runde, um gemeinsam Neuigkeiten auszutauschen, über Projekte zu sprechen und, natürlich, einen vorbereiteten Text zu lesen.
Als ein kleines Nebenresultat gibt es seit ein paar Jahren sogar ein kleines "Wörterbuch" als Aufbauprojekt, in dem wir unbekannte - oder nicht mehr gebräuchliche - Ausdrücke sammeln und zu erläutern versuchen. Hinzu kommen dann noch kleine Geschichten und Anekdoten, die sich in den Dokumenten verbergen und Erklärungsversuche für lokale Flurbezeichnungen oder Eigennamen. Sogar über den Umweg von Facebook konnten dabei tatsächlich manche bisher unbekannte Ausdrücke gelöst werden.  
Im Winter 2020  reiften dann die ersten Pläne, zusammen mit der Bücherei Sinzing und in deren Räumen, einen solchen historischen Lesestammtisch auch in Sinzing anzubieten und ein erster Beitrag über die Kirchenerweiterung in Sinzing sollte damals Appetit auf eine Teilnahme machen..... aber es kam dann aus bekannten Gründen eben alles ganz anders.....
Beim zweiten Startversuch haben wir für Sinzing nun schon einmal einen Starttermin und einen Veranstaltungsort festgelegt können.
Am Mittwoch den 29.3.2023 geht´s los. Unser erster historischer Lesestammtisch beginnt um 19.00 Uhr in den Räumen der Sinzinger Bücherei.  
Gerade zu Beginn einer solchen Veranstaltungsreihe sind wir natürlich im absoluten Blindflug, was die möglichen Teilnehmerzahlen angeht. Um also ein wenig planen zu können, wären wir dankbar, wenn es gerade im Vorfeld der ersten paar Stammtischrunden zu einer Anmeldung kommen könnte.
Unter meiner privaten E-Mailanschrift wäre dies am einfachsten. Diese befindet sich auf dem Plakat und im Impressum dieses Blogs.
Gedacht ist, dass dieser Stammtisch einmal im Monat stattfindet. Dieses Angebot wird natürlich kostenlos sein. 

So, und worum wird es in der ersten - und in den folgenden - Stammtischrunde zunächst mal gehen?
In einem beiläufigen Gespräch über Material für solch einen Lesestammtisch mit Karl Hoibl kam auch das Thema des Kirchenumbaus Mariaort zur Sprache, dessen Material noch irgendwo in den Archiven schlummern müsste/sollte. Der Rest war dann nur noch eine Online-Suche in den Datenbanken der Staatsarchive und eine Fahrt nach Landshut zum fotografieren.

250 Jahre Umbau der Wallfahrtskirche Mariaort

Foto Pongratz: Wallfahrstkirche Mariaort



Foto Pongratz: Die Inschrift in der Kirchendecke im Übergang zwischen dem Kirchenschiff und dem Altarraum spricht von einem Einweihungsdatum MDCCLXXIV. also 1774.

Im Staatsarchiv in Landshut gibt es einen umfangreichen Akt - eigentlich sind es drei - , die sich mit dem Erweiterungsbau der Wallfahrtskirche Mariaort befassen.


Der erste - umfangreichste - Teil behandelt den Bau selber,  umfasst die Jahre 1769-1775 und enthält neben vielen - schön geschriebenen - Briefen vom Kastenvogtamt Kelheim, der Kirchenadministration und dem Eilsbrunner Pfarrer Hopp, auch eine Mariaorter Kirchenrechnung, Zeugenvernahmen wegen Problemen beim Bau und schließlich Bauabrechnungen.

Im zweiten Teil muss sich Pfarrer Hopp rechtfertigen, weil er den Regensburger Kapuzinern die Aufgabe - und natürlich damit verbunden die Geldeinnahme - übertragen hatte, an den hohen Mariaorter Frauentagen die Beichte abzunehmen und nicht, wie eigentlich vorgesehen, den Franziskanern von Stadt am Hof.

Im dritten Teil - angesiedelt im Jahre 1782 - geht es um die Fassung der beiden Mariaorter Seitenaltäre, die der Bildhauer Sorg erstellt hatte, durch die beiden Regensburger Maler Josef Dötter und Johann Georg Kollmüller, die beide ihre Angebote einreichten.

Foto Pongratz: linker Seitenaltar
Foto Pongratz: rechter Seitenaltar











Was hilft es mir, wenn ich diese Schrift lesen kann?

Mit diesen Texten kann nicht nur der (Um)bau der Mariaorter Wallfahrtskirche näher erläutert und vorgestellt, sondern eben auch das Lesen dieser alten Schrift geübt werden.

Wozu kann man die Fertigkeit, diese Schrift lesen zu können, denn sonst noch brauchen?
Nun, sollte jemand sich Gedanken machen, sich irgendwann einmal mit - Achtung Suchtgefahr - Familienforschung zu beschäftigen, so ist es unerlässlich - außer man nimmt sehr viel Geld in die Hand und beschäftigt einen Genealogen auf Jahre hinaus damit, einem diese Sucharbeit abzunehmen - sich in dieser Kanzleischrift einzulesen.
Vor dem Jahre 1870 gibt es keinerlei Zivilstandsakten in den Standesämtern - zumindest in Bayern - und die Pfarrer schrieben in ihrem Matrikeln eben in dieser Schrift.
Auch viele persönlichen Dokumente der eigenen Familie - Briefe, Grundbuchauszüge, Testamente, Feldpostkarten -, die aus der Zeit von um/vor dem Ersten Weltkrieg stammen, sind idR. zumindest in Sütterlin geschrieben, einer Weiterentwicklung der alten Kurrentschrift.

Auch für die Heimatforschung ist es unerlässlich, sich mit den Originaldokumenten zu befassen, um nicht von Sekundär- oder Tertiärquellen abhängig zu sein. Erstens stellen diese nur den Wissenstand der Zeit der Erstellung dar und sind zweitens auch abhängig vom Engagement des Autors, sich  in den überregionalen Archiven selber mit den Dokumenten zu beschäftigen. Leider ist es gar nicht so selten, dass im Bereich der Heimatforschung immer wieder auf dieselben gedruckten Quellen verwiesen wird.
Aus diesem Kreislauf von Verweisen kann man nur ausbrechen, wenn man an die Originaldokumente herangeht, liest und analysiert .... aber dazu muss man diese Schrift eben auch lesen können.

Und dann kommt es durch die Beschäftigung mit historischen Texten - und natürlich deren Inhalten -  auch noch zu einer Erweiterung - oder Vertiefung - des historischen Wissens über unsere Heimat.
Um gleich im Beispiel von Mariaort zu bleiben:
Welche Funktion hat im Falle Mariaort das Kelheimer Kastenvogtgericht, dessen Wurzeln bis weit ins 15. Jahrhundert zurückreichen,  und wer war eigentlich der zuständige Grundherr für Mariaort, um nur zwei Beispiele zu nennen..

Hier nun - sozusagen als Appetizer - der erste Brief aus dem Kastenvogtgericht Kelheim, um zu zeigen, wie denn solche Briefe und Dokumente ausgesehen haben,  wie schwer - oder leicht - es ist, diese tatsächlich zu lesen, und wie man bei einem Lesestammtisch vorgehen kann, um diese Schrift und damit die Inhalte zu verstehen.

Dass solche Briefe auch optisch etwas hermachen können, zeigt der folgende Briefkopf eines der späteren Schreibens aus dem Akt des Kirchenumbaus.

Staatsarchiv Landshut Kirchendeputation Straubing A 93 Bau der Wallfahrtskirche Mariaort 1769-1775

"Von Gottes Gnaden Maximilian Josef in Ob: und Nideren Bayrn, auch der oberen Pfalz Herzog, Pfalzgraf bey Rhein des heyl: Römisch: Reichs Erztruchsess und Churfürsst, Landgraf zu Leichtenberg p:"

Gleich am Anfang des Briefes erscheinen viele Abkürzungen und Kürzel, die sehr häufig verwendet wurden.


Durchlauchtigster Churfüstt, Genädister Herr, Herr

Eur Churfürstl: Durchl: p: geruheten Gdist: mir sub dato 16ten et pres: 29ten 9bris ais elapsi yber des Pfarrers zu Eullsprunn weegen dem Kürchenpau zu Ohrt, weiters Gemacht unterthänigste Vorstellung aufzutragen daß ich hieryber nach.....

Der Doppelpunkt nach einem Wort signalisiert eine Wortabkürzung
Hier also "Churfürstl: Durchl:" für "churfürstliche Durchlaucht" und später gdist: für gnädigst.

Das "p" benutzen wir heutzutage noch umgangssprachlich mit "et cetera pp" und bedeutet nur, dass der Angeredete eigentlich viel mehr Titel hätte, die man einerseits in der Schriftform weglassen möchte und darf, aber andererseits auch nicht so unhöflich sein möchte/darf, diese einfach unter den Tisch fallen zu lassen. 
Das Datum  "16." wird häufig als "16" mit hochgestelltem "t" geschrieben und die Monatsangaben von
September, Oktober, November und Dezember werden mit ihren, vom lateinischen kommenden, Zahlwörtern geschrieben, also 7ber, 8ber, 9ber und Xber.

Nun aber zum Text als Ganzen:

Durchlauchtigster Churfüst, Genädister Herr, Herr

Eur Churfürstl: Durchl: p: geruheten Gdist: mir sub dato 16ten et pres: 29ten 9bris ais elapsi (des vergangenen Jahres) yber des Pfarrers zu Eullsprunn weegen dem Kürchenpau zu Ohrt, weiters Gemacht unterthänigste Vorstellung aufzutragen daß ich hieryber nach befündten Riss: und yberschläge verfassen lassen: und mit zuziehung ermelten Pfarrers nach: und nach die erforderliche Pauschillings Geld auszuzaigen: sofern aber widige Umständ abhanden, sub trno (zum Termin) .14. Tägen bey 3 Reichs-Thl (Thaler) Straff bhrt (Bericht) erstatten solle.
Da nun der Kürchenpau zu Aufrecht-Haltung, villmehrs widerummige Emporbringung der Uralten Wahlfahrt höchst nötig, Anbey der Pfarrer Jährl: so lang der Kürchenpau dauert, 100 fl beyzutragen sich erbotten, auch im Zöchschrein so villes Geld verhanden, daß in dem Pau ein 


"Gutter Anfang gemacht, und endlich mit zu hillfnehmung der bey dem bemittelten Pfarrgotts-Hauß Eüllsprun /:wohin das Wahlfahrts-Gottshauß Ohrt alß eine filial gehörig:/ verhandenen Zöchschrein Paarschaft gänzlicher zum Ende gebracht werden könte.
Alß habe Eur churfrtl: Durchl: p: in Gehorsamster Volge obig gdiste Anbefehlung, den verfassten Riss samt yberschlag in duplo , welcher sich in allem ad 4030 fl 6 xr belauffet, unterthännigst ybersenten: zugleich aber gehorsamst bitten sollen. höchst dieselbe geruhen sothane Pau-Uncosten, nit nur gdist: zu ratifizieren, sondern auch zuverstatten, daß von besagten Pfarrgotts-Haus Eüllsprunn die benöthigte Pau-Hilffs-geld welche sich dermallen nit bestimmen lassen. gegen Leizins bahre widererstattung
"

"in subsidium hergenommen werden dürffen, da bevorab lestberührtes Pfarrgotts-Haus ehevor solches zu mitlen gekommen, von diser Filial-Kürchen unterhalten worden. Weitters unterthännigst bitten, dass in Ansehung das Gottshauß bey dermalligen Unständten des seinigen Höchst-Bedürfftig, demselben zu denen Zaig anliegenter Anzaig von ainig ausser hiesigen Voggtghrt entlegenen Gotts-Häusern zu fordern habent Unzünsbarer Geldern ad 104 fl 30 xr gdist verholffenw erden wolle.
Anbey - mit anderer Schrift ergänzt: zum Remissionscomplex communicatorum  - zu beharrlich: hochfürstl: Hulden und Gnaden unterthännigst gehorsamst empfihle
act. Kelheim den 18. Febr. 1769
Eur. churfrtl: Drlt: p:

Unterthänigst gehorsamster
Johann Lorenz Paur
Verweser

Nun geht es bei dieser Vorstellung der Idee, einen Sinzinger Lesestammtisch zu gründen, auch darum, eine gewisse "Schwellenangst" zu überwinden.
Als Beruhigungs- und hoffentlich Lockmittel, könnte hier ein Beitrag in der Zeitschrift "Der Schöne Bayerwald" aus dem Jahre 2003 dienen, in dem der Kötztinger Schuldirektor aD Ludwig Baumann über den Kötztinger Lesestammtisch berichtet hatte, den es damals schon viele Jahre lang gegeben hatte.

Anders. als im Text beschrieben, begann der historische Lesestammtisch bereits im Jahre 1996 mit seinen Treffen.

Was kann sonst noch geschehen auf solch einem "Stammtisch". Es wird so sein/werden, wie im obigen Artikel auch angeführt, dass die bunt zusammengesetzte Runde unterschiedliches Fach- und Vorwissen, Erfahrungen und unterschiedliche Zielsetzungen an die Runde vereint. Dieser Lesestammtisch wird sich auch sicherlich nicht die ganze Zeit nur um den vorgeschlagenen  Text kümmern, denn es werden  Fragen kommen, Briefe oder Dokumente mitgebracht werden, die es zu entziffern gilt und es wird sich sehr schnell herausstellen, dass die Summe aller Kenntnisse und allen Wissens bei solch einem Treffen weit mehr ist, als der Einzelne weiß, und sei er ein noch so großer Experte auf seinem Gebiet.



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